Ein Gastblog vom Klimaklub der HTL Rennweg, geschrieben von Michael Kudler.
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Vor ziemlich genau einem Jahr war ich auf meiner ersten Fridays For Future Demo
in Wien. Wir waren nicht viel mehr als 30 Leute, als wir unsere Parolen in den
leeren Heldenplatz hinein grölten und uns dann familiär mit Tee wärmten.
Passanten hielten uns für Spinner.
Nun, ein Jahr später, sitzen die Grünen erstmalig in der Bundesregierung.
Österreich wird plötzlich Vorreiter in Sachen Klimapolitik. Gleichzeitig wird in
der EU an einem neuen ambitionierten Klima-Deal geschmiedet. Es kann schwierig
sein, hier den Überblick zu behalten. Deswegen auch dieser Beitrag, der etwas
mehr Klarheit in die Sache bringen soll.
Alles grün?
Europa muss grüner werden. Da sind wir uns alle einig. Doch was meinen wir
eigentlich damit? Zyniker mögen behaupten, Europa werde momentan doch eh schon
von ganz alleine grün. Dort, wo früher Gletscher thronten, würden doch bald
grüne Wiesen blühen. Klarer Weise ist das nicht die Vorstellung von einem
grüneren Europa, die den meisten Leuten da vorschwebt. Trotzdem zeigt dieses
überspitzte Beispiel ein großes Problem auf: Das Wort „grün“ ist sehr vage. Die
Effektivität von Klimaschutz werden wir damit nicht bewerten können. Was wir
also brauchen, sind konkrete Ziele. Spezifisch sollen sie sein. Auf jeden Fall
messbar. Idealerweise auch noch akzeptiert, realistisch und terminiert. Daraus
lässt sich auch ein tolles Akronym basteln: SMART; Projektmanagement lässt
grüßen.
Über Klimaziele
Ein solches smartes Ziel könnte sein: Bis 2050 hat sich die Erde im Vergleich zu
vorindustriellen Zeiten (1850-1880) um nicht mehr als 1,5°C erwärmt. Das wäre
sogar ein sehr erstrebenswertes Ziel, und ist auch eines, das von den meisten
Klimaforschern weltweit gefordert wird. Nach aktuellen Prognosen wären wir
nämlich so vor einer irreversiblen Klimawende gewappnet. Schaffen wir es unter
den 1,5°C Erderwärmung zu bleiben, ist die unkontrollierbare Erderwärmung mit
ziemlicher Sicherheit noch zu stoppen.
Tipping-Points
Es geht also darum, einigermaßen die Kontrolle über die Situation zu behalten.
Treiben wir es zu weit, dann kommen Steine ins Rollen, die wir nicht mehr
aufhalten können. Unser dringendstes Ziel muss deshalb sein, diese sogenannten
Tipping-Points oder Kipp-Punkte nicht zu erreichen. Ein sehr aktuelles Beispiel
für so einen Tipping-Point ist das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien. In
ihnen sind nämlich gewaltige Mengen Methan gebunden. Treten diese aus, würden
sie den Treibhaus-Effekt nur noch weiter verstärken, stärker noch als CO2. Die
Folge davon könnte das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds sein.
Sonnenlicht würde von dieser riesigen Fläche nicht mehr reflektiert werden,
sondern in Form von Wärmeenergie absorbiert. Der nächste Kipp-Punkt wäre
erreicht. Hier zeigt sich sehr anschaulich, was Tipping-Points so gefährlich
macht. Sie sind nicht rückgängig zu machen und treiben den Erwärmungsprozess nur
noch weiter an, sobald sie erreicht sind. Gerne wird dieser Prozess auch mit dem
Fallen von Dominosteinen verglichen. Das Erreichen eines Tipping-Points kann
sehr leicht den nächsten anstoßen und so weiter. Wir sind also nur auf der
sicheren Seite, wenn wir erst gar keinen anstoßen.
Das Pariser Übereinkommen
Mit diesem erklärten Ziel haben sich bereits im Dezember 2015 195 Länder auf das
Pariser Klima-Übereinkommen geeinigt. Erstmals empfiehlt es dabei einen
Schwellenwert von 1,5°C Erwärmung gegenüber vorindustriellen Zeiten, der nicht
überschritten werden soll. Viel kritisiert ist es hier für die schwache
Wortwahl, an anderer Stelle ist dann auch nur mehr von „deutlich unter 2°C“ die
Rede. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass kaum ein Land Pläne vorgelegt hat, die
diesem Ziel gerecht würden. Würden alle aktuellen nationalen Pläne genauso
umgesetzt werden, ständen wir am Ende des Jahrhunderts mit einer Erwärmung um
3-4 °C da. Auch nach der Bekanntgabe des Ausstiegs der Vereinigen Staaten,
spielt das Übereinkommen aber trotzdem noch immer eine essentielle Rolle im
Kampf gegen den Klimawandel auf politischer Ebene. Es ist eine wichtige Basis,
auf der nachfolgende Klima-Legislatur aufbauen würde.
Der Green Deal
Ein sehr gutes Beispiel für solche Legislatur ist EU Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyens Green Deal. Er soll die gesamte EU auf Kurs bringen, um
das Pariser Klima-Übereinkommen einhalten zu können. Dabei schärft er aber auch
bei bestehenden Etappenzielen nach: Die ursprünglich geplanten 40% Reduktion der
Emissionen gegenüber 1990 werden so zu 50-55%. Der große Star des Green Deals
aber ist die Erreichung der Klimaneutralität Europas bis 2050. Obwohl auch das
für Manche zu ambitioniert scheint – Polen möchte sich bis 2070 Zeit lassen – so
fordern viele Experten sogar noch ehrgeizigere Ziele. Europa sei in der Lage,
schneller die Klimaneutralität zu erreichen. Das seien wir im Sinne der
Klimagerechtigkeit weniger entwickelten Regionen der Welt schuldig.
Österreichs neues Regierungsprogramm
Von der Welt, zur EU, zu Österreich. Heute ist es soweit: Am 7. Jänner 2020 wird
die erste Türkis-Grüne Koalition angelobt. Über das Koalitionsprogramm mag man
denken, was man wolle, die Umwelt kommt allerdings eindeutig nicht zu kurz.
Viele Maßnahmen und neue Gesetze werden vorgestellt (wenn auch nur wenig
konkretisiert). Beispielsweise das EAG, das Erneuerbaren Ausbau Gesetz. Damit
möchte die angehende Regierung bis 2030 eine nationale Ökostrom-Bilanz von 100%
erreichen. Ein anderer großer Fokus liegt auch auf der Bahn. So soll
österreichweit die Bahninfrastruktur massiv ausgebaut werden. Für die
Leser*innen dieses Blogs vielleicht auch spannend: Es kommt ein
Österreich-Ticket für 3€ am Tag. Das sind 1095€ für ein Jahr lang unbegrenztes
Bahnfahren in Österreich. Für das Individuum sind also schon tolle Deals im
Programm, was ist allerdings für das Klima insgesamt drin?
Nun, prinzipiell einmal sehr vieles. Mit der neuen Regierung strebt Österreich
die Klimaneutralität bis 2040 an. Das ist deutlich eher, als vom Green Deal
gefordert. Damit tragen wir einen wichtigen Teil zur Einhaltung des 1,5°C Ziels
bei, das mit den bisher geplanten Maßnahmen nur schwer zu erreichen wäre. Wir
haben uns also in diesem Punkt in eine echte Vorreiterrolle, aber auch in eine
Vorbildrolle katapultiert – und das weltweit. Sollten wir dieses Programm also
wirklich einhalten können, dann hätten wir die Mission von Fridays For Future in
etwas mehr als einem Jahr tatsächlich erfüllt. Die Freitagsstreiks würden in die
Geschichtsbücher eingehen und wir wären die Helden unserer Kinder.
Nach all der Euphorie müssen wir allerdings auch Mal auf den Boden zurückkommen.
So gut dieser Plan nämlich im internationalen Vergleich ist, wir können das
besser. Besser bedeutet in diesem schneller, wir müssen schneller zur
Klimaneutralität kommen im Sinne der Klimagerechtigkeit. Wir haben weltweit ab
2020 ein CO2-Budget von etwa 500 Gigatonnen CO2. Bleiben wir in diesem Rahmen
haben wir eine 50% Chance, das 1,5°C Ziel zu erreichen. Derzeit stoßen wir
weltweit allerdings 41 Gigatonnen pro Jahr aus, das wären kumulativ 1230
Gigatonnen bis 2050. Es ist also klar, dass jedes Land der Erde seinen
CO2-Ausstoß drastisch reduzieren muss, um dieses Ziel zu erreichen. Hier kommt
nun auch die Klimagerechtigkeit ins Spiel. Nämlich bei der Verteilung dieses
CO2-Budgets auf die Länder der Erde. Ärmere und weniger entwickelte Länder
werden logischer Weise länger mit der Reduzierung ihrer Emissionen brauchen, als
wirtschaftlich hoch entwickelte Staaten. Das bedeutet, dass der Westen so
schnell wie möglich klimaneutral werden muss, um Schwellenländern die Zeit zu
geben, die sie brauchen. Wir haben dazu ja auch die Mittel, wir haben das
Wissen, der Wille scheint jedoch zu fehlen.
Und genau hier befindet sich eben der Haken bei diesem Regierungsprogramm. Es
gibt viele Lücken, die in den nächsten Jahren erst von Ausschüssen geflickt
werden sollen. Da steckt sehr viel Zeit in diesen Verhandlungen, die wir auch in
eine frühere Erreichung der Klimaneutralität investieren könnten. Zu den meisten
Problemen, vor denen wir stehen, gibt es ja bereits fertige Lösungen. Die Grünen
bringen auch mehr als ausreichend Know-How zum Thema Klimapolitik in die
Regierung. Zu vielen Fragen scheinen die Antworten doch schon am Tisch zu
liegen, zum Beispiel zur Bepreisung von CO2. Da gibt es bereits genug Modelle
von Wirtschafts- und Klimaforschern, aus denen man wählen kann. Das Rad hier neu
zu erfinden, scheint wirklich nicht notwendig zu sein. Hier soll übrigens nicht
zwingend eine Verzögerungstaktik unterstellt, sondern eher
Verbesserungspotential aufzeigt werden. Schaffen wir es, diese Schritte
schneller und effizienter zu setzen, haben wir eine gute Chance bereits deutlich
früher als 2040 klimaneutral zu werden. Der Planet und seine Bewohner würden es
uns danken.
Quellen
•Adrian Hiss von FFF
•Regierungsprogramm 2020
•https://ec.europa.eu/clima/policies/international/negotiations/paris_de
•https://ec.europa.eu/clima/policies/ets_de
•https://ec.europa.eu/clima/policies/effort_de
•
https://www.bmnt.gv.at/umwelt/klimaschutz/klimapolitik_national/klimaschutzgesetz/ksg.html
•
https://www.oeffentlicherdienst.gv.at/wirkungsorientierte_verwaltung/glossar/wfa.html
•https://www.bmnt.gv.at/umwelt/klimaschutz/ufi/ufi.html
•
https://ccca.ac.at/fileadmin/00_DokumenteHauptmenue/03_Aktivitaeten/UniNEtZ_SDG13/RefNEKP/EUZiel-Klimaneutralbis2050_Broschuere-2019.pdf
•
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/co2-budget-so-viel-treibhausgas-darf-die-menschheit-noch-ausstossen-a-1277801.html