Blogautor: Let’s Catch Vuca Projektmanager – Christoph Schwarzl
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Angeblich lebte er wie ein Penner. Pöbelte Athener Bürger an, bespuckte sie oder
bewarf sie manchmal mit abgenagten Knochen. Kyon (gr. Hund) war sein Spitzname.
Er war berüchtigt, aber beliebt, da er die Leute zum Lachen brachte. Auch sonst
gilt Diogenes als außergewöhnlicher Philosoph. Er hielt weder Reden noch
unterrichtete er Schüler. Geschrieben hat er wohl sein Leben lang nichts. Ein
Philosoph ohne Werke. Was von ihm blieb, sind Anekdoten, Geschichten, die über
ihn berichtet wurden. Am ausführlichsten dokumentiert von dem gleichnamigen
Historiker Diogenes Laërtius im dritten Jahrhundert nach Christus.
Als Platon die Definition aufstellte, dass der Mensch ein federloses,
zweifüßiges Lebewesen sei, rupfte Diogenes einem Hahn die Federn aus, brachte
ihn in den Unterricht und sagte: „Das ist Platons Mensch“. Diogenes machte sich
über den Philosophen König lustig. Auch das nur eine Anekdote. Wer nur an
historischer Richtigkeit interessiert ist, kommt bei der Forschung über Diogenes
nicht weit. Denn der historisch echte Diogenes, geboren irgendwann um 400 vor
Christus in Sinope, am Schwarzen Meer, gestorben ca. um 320 vor Christus in
Korinth, lässt sich nur schwerstens ausmachen. „Viele Diogenes Anekdoten sind
schlichtweg erfunden worden, andere lassen einen historischen Kern erkennen,
wieder andere wirken authentisch, obwohl sich das nicht beweisen lässt“, erzählt
Kurt Steinmann, Übersetzer und Herausgeber der wichtigsten antiken Quelle.
Trotzdem ist Diogenes einer der populärsten Gestalten der Antike. Er gilt als
Hauptbegründer des Kynismus, eine Strömung der antiken griechischen Philosophie,
dessen Hauptpunkte systematisches Hinterfragen und Bedürfnislosigkeit waren.
Peter Sloterdijk, deutscher Professor der Philosophie, schreibt: „Da Diogenes zu
den Lebensphilosophen gehörten, die das Leben wichtiger nahmen als das
Schreiben, ist es verständlich, warum sich von ihm keine einzige authentische
Zeile erhalten hat. Dafür lebt um ihn ein Kranz von Anekdoten, die von seiner
Wirkung mehr sagen, als alle Schriften es könnten.“ Worauf es bei den Diogenes
Anekdoten ankommt, ist der philosophische Gehalt und dieser ist nicht zu
unterschätzen.
Was uns die Geschichte vom gerupften Hahn zeigt ist, dass es kaum einen größeren
Unterschied gibt als den zwischen dem seriös denkenden, logisch rationalen
Platon und dem Straßenphilosophen und Lehrmeister des Spottes, Diogenes. Indem
er seinen Kontrahent mit einem gerupften Hahn widerlegt, demonstriert er seinen
eigenen philosophischen Standpunkt. Platons Philosophie sei ihm zu abstrakt und
theoretisch, zu lebensfern.
Einmal rief er laut: „Hey, ihr Menschen!“ und als die Leute zusammenliefen,
verprügelte er sie mit seinem Stock und meinte: „Menschen habe ich gerufen,
keinen Dreck!“ Eine Aktion die für Diogenes typisch ist. Aber auch diese
Geschichte ist keine reine Albernheit. Seine meisten exzentrischen Auftritte
haben einen ernsten moralischen Hintergrund. Hier versucht er seinen Mitgenossen
klar zu machen, dass sie es nicht Wert sind „Mensch“ genannt zu werden, so
falsch wie ihr Leben sei. Das ist der Hauptpunkt seiner Philosophie. Er zündete
bei Tag eine Laterne an und sagte: „Ich suche einen Menschen“. Diese Szene wurde
so berühmt, dass sogar Nietzsche sie später aufgegriffen hat. Durch seine
„Albernheiten“ findet er mehr Publikum als durch ernste Mittel. Als er einmal
einen ernsten Vortrag hielt, aber keiner ihm zuhörte, fing er an wie ein Vogel
zu zwitschern. Als sich um ihn dann eine Menschenmenge bildete beschimpfte er
sie, da sie an seinem Zirkus mehr Interesse zeigten als an seinen seriösen
Wörtern.
Seine Idee von Menschheit sah er an seinen Mitbürgern kaum verwirklicht. Denn es
herrscht Besitzgier, Herrschsucht, Neid und Heuchelei. Ebenso verwunderten ihn
Philosophen, welche fleißig Gerechtigkeit predigen, diese aber nicht selbst
ausführen. Aber wie sieht das richtige Leben aus? Die Antwort ist Autarkie,
Selbstgenügsamkeit. Er nutzte seinen Mantel als Bett, besaß nur eine
Ledertasche, in der er seine Nahrung aufbewahrte, einen Stock als
Allzweckwerkzeug und einen Becher, welchen er aber wegwarf, als eines Tages ein
Kind Diogenes in der Anspruchslosigkeit übertraf, indem es nur mit seinen bloßen
Händen Wasser trank. Er lebte wie ein Bettler. Für ihn ist es göttlich nichts zu
bedürfen. Laut ihm ist die Habsucht die Mutter allen Übels, daher führte er ein
Leben äußerster Genügsamkeit. Besonders berühmt ist er für die Tonne, ein
Vorratsbehälter, in der er öfters schlief.
Diogenes Laërtius, nicht zu verwechseln mit Diogenes, beschreibt eine Art
Erleuchtung: „Als er eine Maus hin- und herlaufen sah, die weder ein Lager
suchte, noch sich vor der Dunkelheit fürchtete, oder auf irgendwelche
Gaumenfreuden geierte, ließ ihn dies einen Ausweg aus seiner misslichen Lage
entdecken“, denn angeblich hat sein Vater, oder Diogenes selbst (die Quellen
sind sich uneinig), Falschmünzerei betrieben. Wer sich klein wie eine Maus
macht, kann jeglichem Schicksal trotzen und sich zurückziehen aus allem, was das
bürgerliche Leben ausmacht.
Heinrich Niehues-Pröbsting schreibt in dem Buch „Der Kynismus des Diogenes und
der Begriff der Zynismus“ folgendes: „In seinem irdischen Dasein kann und darf
der Mensch, nach der Überzeugung Platons, nicht ohne der politischen
Gemeinschaft leben, zu deren Wohl er gerecht handeln muss.“ Das Konzept, dass
dem Staat der Vorrang vor dem Individuum gebührt, lehnte Diogenes strikt ab.
Dass die Leute ihn als Hund beleidigen, macht ihm nichts aus, ganz im Gegenteil,
er sieht es als Ehrentitel. Eine Anekdote besagt, „Als Alexander der Große vor
Diogenes trat und erklärte, dass er Alexander der große König sei, kommentierte
er, dass er Diogenes der Hund sei“. Der kynische Straßenphilosoph, welcher weder
Macht noch Reichtum hatte, begegnet dem damals mächtigsten Mann der Welt voller
Stolz auf Augenhöhe. Er lässt sich von niemanden was sagen, was man auch an
seiner berühmtesten Geschichte leicht erkennen kann. Diese lautet wie folgt: Als
Diogenes ein Sonnenbad nahm, trat Alexander an ihn heran und sagte: „Erbitte von
mir alles, was du willst“, worauf er antwortete: „Geh mir aus der Sonne!“ Jedoch
ist es sehr unwahrscheinlich, dass dieses Treffen je stattgefunden hat. Es geht
auch hier nicht um historische Korrektheit.
Diogenes bittet Alexander den Großen aus dem Sonnenlicht zu gehen. (Quelle:
http://2.bp.blogspot.com/-HFSYdEYs4NE/VQhlG_txFjI/AAAAAAAAAsc/ENI3xzwV_-I/s1600/diogenes-and-alexander.jpg
)Als Diogenes gestorben ist sollen ihm seine Anhänger ein Grabmal in der Form
eines Hundes errichtet haben. Über seine Todesursache gibt es viele Geschichten,
die glaubwürdigste davon ist, dass er an Cholera gestorben ist, nachdem er
ungekochten Tintenfisch gegessen hat. Eine witzigere Todesversion erzählt davon,
dass er seinen Atem angehalten hat, noch bevor er erkrankte, um bis auf die
letzte Sekunde Herr seines Körpers zu sein.
Meiner Meinung nach wäre es nicht schlecht, wenn sich die heutige
Konsumgesellschaft eine Scheibe von Diogenes und vor allem seinen Lehren,
abschneiden würde.
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Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kynismus
https://de.wikipedia.org/wiki/Skeptizismus
https://de.wikipedia.org/wiki/Diogenes_von_Sinope
Bilder:
https://miro.medium.com/max/700/1*kwFaBMTFyPgemGsbUjQzSA.jpeg
http://2.bp.blogspot.com/-HFSYdEYs4NE/VQhlG_txFjI/AAAAAAAAAsc/ENI3xzwV_-I/s1600/diogenes-and-alexander.jpg